Neue Rechtsprechung zum Thema Urlaub

05.01.2023

Wie bereits erwartet, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) entschieden, dass Urlaubsansprüche nicht mehr automatisch verjähren. Doch was bedeutet dies genau für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Der gesetzliche Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers unterliegt wie die meisten Ansprüche der gesetzlichen Verjährungsfrist von 3 Jahren. Nach bisheriger Rechtsprechung begann die Verjährungsfrist – wie bei anderen Ansprüchen auch - am Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden war.

Hiervon ist das BAG jedoch in seiner neuesten Entscheidung abgerückt und setzt damit die vorangegangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22.09.2022 (Az. C-120/21) um. Die dreijährige Verjährungsfrist des gesetzlichen Urlaubsanspruchs beginnt hiernach erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Begründet hat der EuGH dies damit, dass der Grund der Verjährung, nämlich die Erlangung von Rechtssicherheit, hinter dem Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers zurücktreten muss. Ansonsten würde sich das Versäumnis des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch auszuüben, zu Gunsten des Arbeitgebers auswirken.

Hiermit führt das BAG die Änderung seiner Rechtsprechung für den Verfall von Urlaubsansprüchen der letzten Jahre fort. Damit der Arbeitgeber sich also auf einen Verfall von Urlaubsansprüchen berufen kann, muss er regelmäßig auf die bestehenden Urlaubsansprüche und den Verfall derer, wenn der Urlaub nicht genommen wird, hingewiesen haben. Andernfalls ist auch eine Ansammlung von Urlaub über Jahre durch die Arbeitnehmer möglich.

Die Entscheidung betrifft nur den gesetzlichen Mindesturlaub. Wird im Arbeitsvertrag jedoch nicht zwischen dem gesetzlichen Urlaubsanspruch und vertraglichen Zusatzurlaub differenziert, besteht die Gefahr, dass sich diese Vorgaben auch auf den vertraglichen Zusatzurlaub erstrecken.

Am gleichen Tag hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) zudem entschieden (Az. 9 AZR 245/19), dass bei Langzeiterkrankten der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus dem Jahr, in dem der erkrankte Arbeitnehmer noch gearbeitet hat, nicht automatisch nach 15 Monaten verfällt.

Nach bisheriger Rechtsprechung verfiel der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch bei Langzeiterkrankung mit Ablauf des 31.03. des zweiten Kalenderjahres, das auf das Jahr der Anspruchsentstehung folgt automatisch. Anders als bei nicht erkrankten Arbeitnehmern bedurfte es hierfür auch keines Hinweises durch den Arbeitgeber.

Diese Rechtsprechung hat das BAG nun – unter Umsetzung der Vorgaben des EuGH weiterentwickelt und differenziert nun zwischen dem Jahr, in dem der langzeiterkrankte Arbeitnehmer noch tatsächlich gearbeitet hat und den Jahren, in denen er durchgehend erkrankt war. Für die Jahre der durchgehenden Erkrankung verbleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung; der Urlaubsanspruch verfällt automatisch mit Ablauf der 15-monatigen-Frist. Anders verhält es sich jedoch mit dem Urlaubsanspruch des Jahres, in dem der Arbeitnehmer erkrankt ist und noch (wenigstens teilweise) gearbeitet hat; hier verfällt der Urlaub nach 15 Monaten nur dann, wenn der Arbeitgeber – wie bei nicht erkrankten Arbeitnehmern auch – vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit auf den bestehenden Urlaubsanspruch und einen möglichen Verfall hingewiesen hat. Andernfalls kann der langzeiterkrankte Arbeitnehmer auch nach Jahren – insbesondere auch unter Beachtung oben genannten ersten Urteils – noch den Urlaubsanspruch aus dem Jahr des Beginns seiner Erkrankung geltend machen.

Unter Berücksichtigung der beiden genannten aber auch vorheriger Urteile ist Arbeitgebern zu empfehlen, jeden Arbeitnehmer regelmäßig über den konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres zu informieren, zum Beispiel durch eine Mitteilung am Anfang des Kalenderjahres in Textform (schriftlich oder per E-Mail). Ein Rundschreiben genügt hierfür nicht. Jeder Arbeitnehmer ist individuell auf die Anzahl der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Urlaubstage im betreffenden Kalenderjahr, ggf. eine Urlaubsübertragung aus dem Vorjahr, die Aufforderung zur Urlaubsnahme im laufenden Jahr und auf die Folge des Verfalls hinzuweisen. Um einer weiteren Ansammlung von Urlaubstagen vorzubeugen, sollte dies insbesondere jetzt zu Jahresbeginn erfolgen.

Arbeitnehmer wiederum sollten – insbesondere nach erfolgtem Hinweis und unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung – ihren tatsächlichen Urlaubsanspruch prüfen und geltend machen.